Miss Sophies Geschichte

„Ich hoffe, dass du da oben tanzt und im Chor der Engel singen kannst. Und die Engel wissen, seitdem du da bist, es im Himmel noch viel schöner ist“
(nach Dani und Lizzy, Dancing in the sky)

Ein gedeckter Tisch, leere Plätze, eine ältere Dame und ein Butler, der stolpernd Trank und Speisen reicht. „Die gleiche Prozedur wie letztes Jahr, Miss Sophie?“ will er wissen. „Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr, James!“ antwortet die Dame entschlossen. So läuft es im berühmten Klassiker „Dinner for one“.

Als wir dich zum ersten Mal trafen, Miss Sophie, da warst du ganz allein, angekettet in einem leeren Stall. Die Plätze um dich herum waren bereits zwei Jahre leer. Du warst die letzte Überlebende. Es gab nur einen Butler, in diesem Fall einen Bauern, der Speis und Trank reichte. Mehr tat er allerdings nicht. Da Kühe nicht allein sein dürfen, beschloss das zuständige Veterinäramt das Ganze zu beenden.

Eine Amtstierärztin wollte jedoch verhindern, dass du direkt in den Tod gehst, nachdem du die ganzen 16 Jahre deines Lebens angekettet warst und immer die gleiche Wand ansehen musstest. So brachten sie dich zu uns, damit Du eine Lebenskuh wirst. Fünf Jahre hast du bei uns gelebt. Diese Zeit hast du voll ausgekostet. Wie sehr du gestaunt hast, als du erkannt hast, wie viel mehr diese Welt noch zu bieten hat. du hast jedes Bild, jeden Geruch, jeden neuen Reiz und all die neuen Eindrücke fasziniert aufgesaugt. Immer wieder hast du dich in deinem neuen Stall der Wand zugewendet, um all das erst mal zu verarbeiten. Immer wieder bist du dann wieder nach draußen gegangen, um völlig fassungslos in den Himmel zu schauen. So viele Spuren hast du mitgebracht. Von der Kette, die eingewachsen war, von den Milben, die dich geplagt haben, ohne dass du dich schubbern konntest.

Ein Horn war abgeschürft, du hattest keine Muskulatur und auch deine Klauen brauchten erst mal Pflege. Wie selig warst du, als du nach deinen ersten Schritten auf der Weide einen Schubberbaum entdeckt hast. Streichelnde Hände und fürsorgliche Bürstenmassagen hattest du gern. Genauso wie leckere Bananen. Zunächst hat dich unsere Hofpartnerin Nina aufgepäppelt, dann hat Sebastian übernommen. Alle hast du mit deiner Persönlichkeit beeindruckt. Je älter du wurdest, desto mehr hast du dann aber auch die Ruhe genossen.

Wir haben einiges ausprobiert, um deine Verdauung zu unterstützen und gerade vor Kurzem erst wieder ein Blutbild machen und deine Nährstoffspeicher auffrischen lassen, um dich gut durch den kommenden Winter bringen zu können.
Wir haben dich in den Stall geholt, damit du mit deinen empfindlichen Knochen vor Wind und Wetter geschützt bist. Dort hast du dich nun ins Stroh gelegt und beschlossen, dort liegen zu bleiben. Die Kraft zum Aufstehen hat gefehlt und wir haben schweren Herzens respektiert, dass dir auch die Kraft zum Weiterleben ausgegangen war. Liebe heißt auch Loslassen, auch wenn es schwerfällt. Unser Tierarzt kam zu dir und mit einem tiefen Seufzer hast du dich auf deine letzte Reise begeben. Im kommenden April wärst du 22 Jahre alt geworden.

Wir hätten so gerne noch ganz viele Jahre mit dir erlebt. Du hast noch die Sonnenstrahlen des Sommers und die leuchtenden Farben des Herbstes mitgenommen, hattest den Duft vom frischen Heu in der Nase und im Kontrast zu deinem vorherigen Leben hier bis zuletzt Kuhgesellschaft um dich. Die gleiche Prozedur wie letztes Jahr? Nein, ohne dich ist alles anders.

Wir hoffen, du findest da oben eine gedeckte Tafel vor, mit all den Lieben, die schon vorangegangen sind. Genau wie du kaum fassen konntest, wie groß doch die Welt ist, so können wir kaum fassen, dass sie sich nun ohne dich weiterdreht.
Miss Sophie, wir sind unendlich traurig und vermissen dich sehr!
Miss Sophie, dieses Lied ist für dich.

Wir danken allen Patenmenschen und allen, die dazu beigetragen haben, dass Miss Sophie nach 16 Jahren an der Kette noch fünf Jahre in Würde als Lebenskuh bei uns verbringen konnte.