Lottis Geschichte

Wir sind so weit gekommen, hab‘ jetzt keine Angst.
Denn du kannst fliegen lernen, auf dem Weg nach oben.
Du wirst die schweren Schritte nicht vergessen, die nötig waren.
Schließ‘ die Augen, zähl bis zehn, halte den Atem an und fliege….
(nach Maddie & Tae)

Lotti, wir haben so sehr gehofft, dass du wieder auf die Beine kommst.
Wir haben uns so sehr gewünscht, dass du immer weiter läufst.
Doch deine Kraft reichte nicht mehr, um zu laufen, Deine Kraft reichte nicht mehr, um aufzustehen. Deine Seele wollte fliegen. Also haben wir ihr Flügel gegeben.

Du hast die Sonnenstrahlen des Spätsommers noch ausgekostet, das frische Gras geschmeckt und das Leben nochmal in tiefen Atemzügen eingeatmet. Dann konntest du loslassen, im Gras liegend, begleitet von unseren streichelnden Händen, unseren Tränen und den liebevollen Blicken deiner Herde. Liebe Lotti, wir hoffen, dass du nun auf immergrünen Wiesen grast, ohne Schmerzen, ohne Schwere, voller Leichtigkeit. Dort, auf der anderen Seite, bist du nicht allein. Deine liebe Menschenfreundin und Retterin Anne ist schon vorangegangen.
Vor vier Jahren verhinderte sie deine gewaltsame Tötung, die damals schon geplant war. Anne war damals sehr schwer krank. Die Ärzte gaben ihr nur noch wenige Wochen Lebenszeit. Doch eines hatte sich Anne in den Kopf gesetzt. Vorher wollte sie dich davor bewahren, im Schlachthof zu sterben. Sie wünschte sich ein gutes Leben für dich, nachdem du 11 Jahre auf dem Hof in ihrer Nachbarschaft als Milchkuh dienen musstest. Nachdem dir alle Kälbchen weggenommen wurden, für die du nie eine Mutter sein durftest. Anne flehte den Landwirt an, dich freizugeben. Dieser entschied jedoch dich abholen und zum Schlachthändler bringen zu lassen.

Da wir alle umliegenden Schlachthöfe und Händler abtelefonierten, fanden wir dich gerade noch rechtzeitig dort. Anne schloss dich in die Arme und aus dir wurde eine Lebenskuh. Das Erlebte beim Schlachthändler hatte dir jedoch zugesetzt. Bei Bewegungen mit dem Besen oder mit der Heugabel beim Füttern, hast du anfangs oft noch panisch den Kopf hochgerissen. Mit der Zeit hast du aber gemerkt, dass du hier keine Angst mehr haben brauchst. Wegen Klauenproblemen hattest du in der ersten Zeit auch Schwierigkeiten aufzustehen und brauchtest intensive Pflege. Doch das hast du überwunden. Deiner Retterin Anne gabst du Halt und die Ärzte staunten. „Die Rettung von Lotti hat mir neue Kraft gegeben“, erzählte sie. Statt weniger Wochen, lebte Anne nicht nur weitere Monate, sondern zwei Jahre länger, als die Ärzte vorausgesagt hatten. In dieser Zeit besuchte sie dich oft und du hast ihr liebevoll die Hände abgeschleckt. Anne trat ihre letzte Reise an, in dem Wissen, dass du bei uns weiterleben würdest.

Doch auch deine Kraft schwand langsam. Wir holten dich in die Herde der schwächeren Rinder und entschieden, dass du auch über den Sommer in Hofnähe mit Zugang zum Strohstall bleibst, damit wir dich immer im Blick behalten konnten. Auch wenn du nicht mehr so viel Kraft hattest, hast du die Leitung deiner kleinen Herde übernommen.

Trotz Pflege, Zusatzfutter, Infusionen, Medikamenten und tierärztlicher Betreuung konnten wir nicht verhindern, dass du immer weiter abgebaut hast. Die Hochleistungskühe aus den Milchbetrieben sind nicht für ein langes Leben ausgelegt. Zwei Jahre nachdem deine Anne starb, seid ihr nun wieder vereint und wir vermissen euch beide hier.

Lotti, du liebe und sanfte Seele. 15 Jahre alt bist du geworden. Vier davon konntest du in Würde auf unserem Lebenshof verbringen. Wir haben uns so viel mehr Zeit für dich gewünscht. Lotti, dieses Lied ist für dich.