Monchen – einer werdenden Mutter drohte die Tötung
Als das Telefon klingelt, ahnen wir noch nicht, was dieser Anruf alles in Gang setzt. Der Fahrer eines Tiertransporters ist am Apparat. Er ist auf dem Weg zum Schlachthof. Auf der Ladefläche hat er eine junge Kalbin, laut Pass kaum älter als ein Jahr. Sie ist hochtragend. Der Fahrer möchte sie nicht zum Schlachthof bringen. „Da wächst neues Leben in ihr heran und ich soll die werdende Mutter zur Schlachtung bringen“, erklärt er. „Das kann ich einfach nicht“, fügt er hinzu. Viel eher sehe er sie mit ihrem Kälbchen gemeinsam auf einer Weide. Bis dahin waren wir der Meinung, dass eine solche Schlachtung sicherlich nicht vom Veterinäramt genehmigt werde. Wir hatten uns geirrt. Als wir den Amtsveterinär erreichten, wusste dieser bereits von der Kalbin und hatte die Schlachtung schon genehmigt. Auch aus wirtschaftlichen Gründen.
Sie war wohl in ihrem Geburtsbetrieb in einer Herde mit Bullen mitgelaufen und der Landwirt hatte aufgrund ihres jungen Alters nicht damit gerechnet, dass da Nachwuchs entstehen könnte. Er verkaufte sie weiter, ohne zu wissen, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon schwanger war. Der Landwirt, bei dem sie landete, ließ sie dann einige Monate später untersuchen. Dabei stellte der Tierarzt fest, dass ein Kalb in ihr heranwuchs. Da die Kalbin jedoch noch so jung und klein war, bereitete er den Landwirt darauf vor, dass wahrscheinlich ein Kaiserschnitt notwendig sein würde.
Das erschien dem Landwirt zu aufwendig und zu teuer. So entschied er sich dafür, die Kuh schlachten zu lassen. Unter diesen Umständen gab es dafür eine offizielle Genehmigung.
Uns rannte die Zeit davon. Wenn die Kleine geschlachtet werden würde, wäre das nicht nur tragisch für sie. Ihr Kalb würde im Mutterleib elendig ersticken. Nach mehreren Telefonaten mit den Schlachthofbetreibern gelang es uns, sie davon zu überzeugen uns die Kalbin zu überlassen.
Eine liebe Patin meldete sich auf unseren öffentlichen Aufruf und erklärte sich bereit, die überwiegenden Kosten für Mutter und Kalb zu übernehmen. Das sorgte für eine große Erleichterung. Doch die Rettung stellt uns vor die nächste Herausforderung. Wir hatten keinerlei Erfahrungen mit Kaiserschnitten bei Rindern und waren entsprechend nervös. Marion, von Stoppels Offenem Lebenhof, erklärte sich bereit, die Kleine aufzunehmen, wenn unsere Vorsitzende dabei zur Seite steht. Frisch mit dem Studium fertig, zog Julya also vorübergehend auf Stoppels Offenem Lebenshof ein. Alle bereiteten sich auf den bevorstehenden Kaiserschnitt vor. Unser kleines Monchen, wie ihre Patin sie nannte, war klein, schneeweiß und kugelrund. Wir bekamen eine gute Beratung von einem Landwirt, der sich mit dem Thema auskannte. So maßen wir täglich die Temperatur und froren vorsorglich lebenswichtiges Kolostrum für das Kälbchen ein, falls Monchen den Kaiserschnitt nicht überleben würde.
Vier Wochen nach der Rettung war es dann soweit. Die Körpertemperatur fiel und die Geburt stand bevor. Mitten in der Nacht standen wir mit unserem Tierarzt im Stall und hofften das Beste. Rinder bleiben beim Kaiserschnitt stehen und werden nur lokal betäubt, da so weniger Komplikationen entstehen können. Es erfolgt ein etwa 30 cm langer Schnitt entlang der linken Flanke. Monchen war tapfer und wir folgten den Anweisungen unseres Tierarztes. Als wir gemeinsam ein kräftiges, lebendiges Kälbchen herauszogen, hatten wir alle Herzklopfen. Wir hatten es geschafft. Der kleine Emilio war auf der Welt, er atmete und seine Mutter stand lebendig daneben. Nun mussten wir uns noch auf die Nachsorge konzentrieren, unserem Tierarzt assistieren und hoffen, dass Monchen, ihren Sohn auch annehmen würde. Doch alle Sorgen flogen davon, als wir Monchen zu ihrem Kalb ließen. Sie war von der ersten Sekunde an völlig verrückt nach ihrem Emilio. Bis heute sind sie unzertrennlich.
Der Fahrer, der uns damals kontaktierte, arbeitet inzwischen nicht mehr für den Viehhändler und führt nun einen Lebenshof.