Ilvy und das schwarze Einhorn
Ilvy sollte sterben. Das war bereits beschlossen.
Ihr Herkunftsbetrieb war aufgelöst und die vierjährige Ilvy hatte man wegen nachlassender Milchleistung aussortiert. Sie stand bereits in der Sammelstelle eines Schlachthändlers, als die Vorsitzende eines befreundeten Vereins sie dort
entdeckte. Ihre Hörner sind vermutlich durch eine mißlungene Enthornung nur
als kleine Stummel vorhanden und ihre Rippen waren deutlich zu sehen. Neben
ihr stand Irmi, eine verängstige Kuh mit struppigem, schwarzen Fell.
Nachdem bei uns eine zarte, kleine Kuh gestorben war, wollten wir den Platz
gern an eine andere, arme Seele vergeben. Am liebsten an eine ältere,
ehemalige Milchkuh. Am liebsten eine mit Hörnern, weil sie in eine Herde mit
anderen behornten Tieren kommen sollte.
Etliche Tiere drängten sich in der Sammelstelle. Kälber, Färsen, kleine Bullen. Die meisten von ihnen waren enthornt. Nicole, von dem befreundeten Verein entdeckte mittendrin Ilvy, die als ehemalige Milchkuh sehr ausgezehrt wirkte. Sie hatte immerhin noch Hornstummel. Ilvys Fell war dreckverkrustet, sie hatte wunde Liegestellen und war nur Haut und Knochen. Für sie würde sich wohl sonst keiner mehr interessieren. Nur ziemlich verrückte Kuhretterinnen eben. So war es schnell beschlossene Sache, dass die Kuh ohne Zukunft nun doch eine Zukunft als Lebenskuh bekommen sollte.
Allerdings drängte sich da noch die tiefschwarze Irmi, mit ihrem abgebrochenem Horn, einem eingerissenem Ohr und wachem Blick an Ilvy. Im Grunde sollte nur eine Kuh mitkommen. Aber wir schafften es nicht die kleine, schwarze Einhorn-Kuh zurück zu lassen. Schließlich holten wir gemeinsam noch drei weitere Rinder dort raus, die woanders Lebensplätze bekommen haben.
Während Ilvy eher groß ist, ist Irmi eher klein.
Die beiden verstehen sich trotzdem wunderbar und haben sich bei uns gut erholt. Es stellte sich heraus, dass wir bei dieser Rettungsaktion nicht nur diese beiden Mädels zu uns geholt haben, sondern Ilvy noch eine Überraschung für uns parat hatte. Knapp neun Monate nach ihrer Rettung brachte sie die Zwillinge Jannis und Jonathan auf die Welt. Kaum vorstellbar, dass sie fast niemals geboren worden wären.
In diesem Fall konnten wir die gewaltsame Tötung abwenden. Doch so viele bleiben unentdeckt. Wie viele von den ehemaligen Milchkühen bei ihrer Tötung noch ungeborenes Leben in sich tragen, wollen wir uns gar nicht erst ausmalen.